29. April 2024 um 19:03
Gebet
Frühling, Wonnegebieter,
sonnestarker, lauterster Gott der Erde,
willst du endlich erscheinen,
mir
Nach soviel Stürmen,
soviel quälender Wetterwut,
nach manchem
voll kalten, stechenden Glanzes:
willst du endlich
mein Heiland? –
Ja! mir künden heilige Schauer:
du auferstehest,
den ich dunkel geahnt
in den Dämmertagen der Kindheit
und den ich verloren, vergessen
im selbst sich vergötternden Jünglingsrausch …
Oh, senke die Strahlen
Deines milden Himmelsauges
sänftigend, verklärend mir
in die sehnsucht offne Seele
O durchfülle mich ganz mit Deinem Odem,
Frühling, äther entsprossener,
Segen atmender, reiner Sonnensohn!
Erfülle mich mit deiner
nicht der gärend schäumenden,
der ziellos wilden, taumelnden Lust
stürmenden Knabenübermutes:
mit Deiner ruhig quellenden,
still knospenden,
sicher schaffenden Freudigkeit
erfülle mich, du Glückbeseelter! –
Schon jauchze ich.
Ja! du erhörst mein Gebet!
Du bist
bist, was in mir jubelt –
du erhörtest mich schon
Du, Du, Frühling, wurdest
mir in bangender Seele
heimlich ein anderer, neuer Frühling:
Erster Frühling,
einziger Frühling,
bleibe! weile!
verlaß mich nicht,
flüchten gleich die Tage!
Dann werden machtlos nahen
meinem geweihten Haupt
des Sommers sengende Sorgen
und des Herbstes trüber Mißmut
und des Winters kalte Oede.
Erster Frühling,
einziger Frühling,
Du brachtest mir die Erlösung:
bringe mir auch das Himmelreich!
– Haider, Thomas. Deutsches Lyrik Korpus, 2022.
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