Aufnahme Mariens in den Himmel – Predigt zum Hochfest
Einführung
Mariä Himmelfahrt ist ein altes Fest aus dem ersten christlichen Jahrtausend als die Kirche im Wesentlichen noch eins war. Die Glaubensüberzeugung, dass die Gottesmutter mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde, wird wenige Jahre nach der Katastrophe des Weltkrieges mit Millionen von Toten für alle deutlich ans Zentrum des christlichen Glaubens herangerückt. Mensch, dein Leib mag verbrannt sein, mißhandelt, gequält, getötet, verloren sein, doch du bist von Gott nicht vergessen, du wirst leben! Mit diesem Glaubenssatz spricht die Kirche nicht nur eine große und wichtige Wahrheit aus, sie will zu allererst trösten.
Predigt
Ein erster Zugang: In der Diözese Rottenburg-Stuttgart gibt es einige heilige Berge. Darunter der Bussen in Oberschwaben oder der Schönenberg in Ellwangen und eben auch der sogenannte Wächter des Zabergäus, der Michaelsberg. Dort ist neben der alten romanischen Kirche eine Gedenkstätte für nichtbestattetes menschliches Leben zu finden. Der Künstlerpriester Sieger Köder hat dafür eine Skulptur geschaffen, die ein trauerndes Elternpaar vor einem leeren Grab darstellt. Man spürt intuitiv, worum es hier geht. Ein Flugzeugabsturz über dem offenen Meer, eine Brandkatatrophe, ein Krieg. Menschen sterben, ohne dass ihre Körper bestattet werden können. Wir brauchen dann einen Ort für das Gedenken. Und während das leere Grab Jesu Trost und Hoffnung spendet, zerbrechen an diesen leeren und nicht einmal vorhandenen Gräbern Menschen in ihrem Leid. Unsere Seelen brauchen aber Orte, um zu trauern, brauchen Zeichen, die Halt geben, brauchen wahre Botschaften, die trösten.
Die Tradition der christlichen Kirchen besagt, Marias Grab wäre nach ihrem Sterben nicht einfach nur leer gewesen, sondern mit Blumen gefüllt. Daher auch die Kräuter am heutigen Fest. Aber ihr im Grunde genommen leeres Grab in Verbindung mit dem leeren Grab Christi ist im übertragenen Sinn ein Ort, um sich in der Trauer trösten zu lassen von der Botschaft, die alle Erkenntnis übersteigt. Eigentlich versinnbildlicht das leere Grab Mariens unsere Hoffnung auf ein Auferstehen. Und spielte uns unser Verstand einen Streich und machte unsere Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod zunichte, wenn er uns sagte, Auferstehung sei nur bildhaft gemeint, dann holt uns eben die reale und zugleich gläubige Anschauung des leeren Grabes in Gottes Wirklichkeit zurück, und entlarvt die scheinbar nüchterne Tatsache als unvollständiges Trugbild. Die Ikonen aus den Kirchen des Orients bewahren diese schlichte aber authentische Wahrheit in sich auf. Ein Bild kann mehr sein als ein Bild. Gerhard Richter, der atheistisch suchende Künstler sagt: „Alles, was ist, scheint und ist für uns sichtbar, weil wird den Schein, den es reflektiert, wahrnehmen, nichts anderes ist sichtbar.“ Aber da ist eben mehr als der Schein, dessen, was ist, möchte man als Glaubender fortführen. Unsere Augen sehen das leere Grab Mariens. Die Blumen aber sagen, was wir eigentlich sehen: Freude über das unsichtbare Geheimnis, dass unsere Existenz umfängt oder Glaube an eine höhere Macht, ohne die wir nicht leben können.
Ein zweiter Zugang: Gott erschafft in den ersten Kapiteln der Bibel alles, was ist. Das macht ihn zum alleinigen Schöpfer. Der christliche Glaube – und das hat er mit dem jüdischen und mit dem muslimischen Glauben gemein – sieht alles, was ist, geworden durch die Hand Gottes. Darüber hinaus ist nichts, außer eben Gott selbst. Es gibt da keine anderen Götter und es gibt keinen Nebenschöpfer oder gar eine (böse) Gegenmacht. Darin sind sich die drei heiligen Schriften einig. Und Gott schafft alles durch sein Wort. Unbelebte Wirklichkeit und auch alles Lebendige ensteht durch das Wort Gottes. Der Mensch wird zwar ebenfalls durch Gottes Wort geschaffen, lebendig aber wird er allein dadurch, dass Gott ihn anhaucht, dass er ihn anspricht und sie anspricht. Irgendetwas ist anders mit diesem Geschöpf Mensch. Seine Seele ist mehr als seine Psyche, sein Wesen mehr als das eines begabten und geistreichen Tierwesens, sein Leib mehr als sein bloßer Körper. Gottes Atem – auch in uns – überdauert unsere zeitliche Existenz. Der Glaubenssatz sagt uns: Übrig bleibt nach unserem Tod nicht allein Gottes Atmen, der – so die bildhafte Vorstellung – wieder zu ihm zurückkehrt, sondern auch etwas von dem, das er lebendig machen konnte. Etwas von dem, was sich von seiner Liebe verändern lies, etwas von dem, was gelernt hat seinerseits zu lieben. Die Kräuter von heute werden zerfallen innerhalb von Jahresfrist. Bis dahin trösten, die geweihten Düfte und bunten gesegneten Blumen. In uns ist etwas von Gott, das nicht zerfällt, das nicht zum Staub der Erde zurückkehren will, sondern zu seinem Ursprung hinstrebt.
Bernd Herbinger
aus: DAW – Dienst am Wort, Heft 5/2021, Ostfildern 2021.
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